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Bücher und ZeitschriftenRezensionen

 


Rezensionen zum Thema: Sachbücher über Indianer Nordamerikas

 

Veröffentlicht in der Zeitschrift Amerindian Research 2023-04:

 

Veronika Ederer:
Die andere Seite des Krieges: Auf Spurensuche im Apachenland.

München: Lincom Pocket, 2023.
536 Seiten; zahlreiche Abbildungen in Farbe und Schwarzweiß, € 20,80. ISBN 978-3-96206-054-1

 

Die Ethnologin Veronika Ederer legt mit dieser umfangreichen Publikation, in deren Mittelpunkt die nordamerikanischen Apachen stehen, ein interessantes und zugleich sehr persönliches Buch vor.

Die einschlägige historische Literatur ist voller Informationen über die sogenannten Apachenkriege. Über die Apachen selbst, ihre Lebensweise und ihre Sicht der Ereignisse wird in der verbreiteten Literatur wenig berichtet, wohl aber über ein jahrhundertelanges blutiges Gegeneinander und brutales Massakrieren. Vor diesem Hintergrund ging die Autorin der Frage nach, ob es auch eine andere Geschichte gibt, eine Geschichte, die von Freundschaft und Vertrauen erzählt. Kennt sie doch das Werk des Schriftstellers Karl May, der in einigen seiner (frei erfundenen) Erzählungen die unverbrüchliche Freundschaft zwischen seinem weißen Haupthelden und einem Häuptling der Mescalero-Apachen – Winnetou – in den Mittelpunkt stellte. Es war ein positives Bild, das Karl May entwarf, fantasievoll, aber auch im Gegensatz zu den zeitgenössischen historischen Schilderungen stehend. Doch gab es im Hintergrund der oft grausamen Wirklichkeit nicht wenigstens die eine oder andere freundschaftliche, von gegenseitiger Achtung getragene menschliche Beziehung zwischen Apachen und Nichtindianern?

Veronika Ederer ist dieser Fragestellung über viele Jahre nachgegangen und hat zahlreiche Reisen in den Südwesten der USA, insbesondere zu den Apachen, unternommen. Im Mittelpunkt ihres Interesses standen vorzugsweise die Mescalero, aber auch die Lipan und Chiricahua, welche in der Mescalero Reservation inzwischen eine Heimat gefunden haben.

Die Autorin liefert zunächst einen Überblick zur frühesten Geschichte der Apachen, ihre Einwanderung in den nordamerikanischen Südwesten und ihr Verhältnis zu anderen indianischen Ethnien sowie zu den Spaniern, Mexikanern und US-Amerikanern. Die weitere Geschichte, soweit sie nicht als Überblick kurz umrissen wird, erschließt sich beim Lesen der biografischen Skizzen der nichtindianischen Personen, bei welchen die Apachen insbesondere dann Unterstützung fanden, als es galt, unter den schwierigen Bedingungen der Reservation nicht nur zu überleben, sondern auch eine gewisse Identität zu bewahren. 

Die Protagonisten der meisten der hier geschilderten "Freundschaftsgeschichten" dürften der Leserin oder dem Leser unbekannt sein, weil sie im Hintergrund wirkten und als "einfache" Leute nicht den Weg in die Geschichtsbücher fanden. Ederer beschreibt anschaulich, wie sie oft zufällig auf Informationen gestoßen ist, die sie in Gesprächen mit Apachen und bei der Auswertung von örtlichem Archivmaterial über Jahre weiter vertiefte. Im Allgemeinen handelte es bei diesen Personen um Euro-Amerikaner, die durch Zufälle oder ihre berufliche Betätigung mit Apachen in Kontakt kamen. Man lernte sich nicht nur kennen, sondern schätzte und unterstützte sich gegenseitig.

Beginnend mit dem Scout, Trapper und Indianeragent Christopher ("Kit") Carson, der in dieser Reihe vielleicht die bekannteste, gleichzeitig auch umstrittenste Person war, schildert die Autorin die Schicksale von "Weißen", die als Mühlenbetreiber, Soldat, Missionar oder in welcher Funktion auch immer mit den Apachen in Kontakt kamen, diesen wertvolle Unterstützung leisteten und die ihrerseits die Achtung der Apachen gewannen und Hilfe fanden. Dem Lesenden wird ein breites Spektrum an Information über die Lebensweise der Apachen und ihr Bemühen vermittelt, Reservationsgebiete zu erhalten, die ihnen ein Überleben und eine Zukunft ermöglichten. In diesem Zusammenhang wird z. B. auch der Lebensweg von Geronimo und seinen Anhängern, die Deportation nach Florida und Alabama und schließlich der lange Aufenthalt bei Fort Sill in Oklahoma in einer unglaublichen Detailtiefe geschildert. Es wird deutlich, dass das Überleben der Apachen im Südwesten sowie in Oklahoma ohne die Hilfe euroamerikanischer Freunde so nicht möglich gewesen wäre.

Die einzelnen Kapitel des Buches wurden von der Autorin mit umfangreichen Quellenhinweisen und Anmerkungen versehen, am Ende finden sich außerdem ein Literaturverzeichnis und ein Stichwortindex.

Es ist ein faszinierendes Buch, das die oft grausame Wirklichkeit nicht verschweigt, aber eine unerwartete menschliche Seite aufzeigt, so dass man es nicht aus der Hand legen möchte, wenn man einmal mit dem Lesen begonnen hat. (Rezension von Rudolf Oeser)

 

Aram Mattioli:
Zeiten der Auflehnung: Eine Geschichte des indigenen Widerstandes in den USA 1911-1992.

Stuttgart: Klett-Cotta, 2023.
460 Seiten; Abbildungen in Farbe und Schwarzweiß,
€ 28,00. ISBN 978-3-608-98348-7

 

Das Buch ist keine vollständige Darstellung oder Enzyklopädie des indigenen Widerstands in den USA im 20. Jahrhunderts – dies würde den Umfang einer solchen Publikation auch sprengen – sondern es werden eine Reihe richtungsweisender Ereignisse ausführlich und mit Blick auf den jeweiligen Hintergrund und Widersprüchlichkeiten erläutert.

Abgesehen von einer Einleitung und einer "Bestandsaufnahme" der Zeit um 1900 ist der Buchinhalt in vier zeitlich aufeinander folgende Hauptabschnitte (Kapitel 3–6) gegliedert.

Kapitel 3 behandelt die Zeit von etwa 1910 bis einschließlich des Zweiten Weltkrieges. Der Autor erläutert zunächst das Streben der Six Nations um Bewahrung ihrer Selbstbestimmungsrechte. Dabei wird auch ein Blick auf die lange Geschichte der Six Nations im Widerstreit zwischen England und den USA geworfen. Der Leser erfährt zahlreiche bisher in deutscher Sprache kaum publizierte Einzelheiten zu Fragen der Anerkennung der Staatsbürgerschaft und des sogenannten "New Deal". Auch die Situation der Navajo in den 1930er Jahren bis in die Zeit des Zweiten Weltkrieges findet Beachtung, so das Programm zur Reduzierung des Viehbestandes der Navajo und die damit verbundenen Konflikte.

Während die Literatur oft die sogenannten "Code Talker" insbesondere der Navajo hervorhebt, die in der US-Armee Dienst taten, wird hier auch dargestellt und begründet, warum viele Angehörige indianischer Ethnien nicht bereit waren, sich für einen potenziellen Militärdienst registrieren zu lassen. Die religiösen, traditionellen und ökonomischen Gründer hierfür werden auch erklärt.

Kapitel 4 behandelt dann vor allem die sogenannte Terminationspolitik (bis Anfang der 1960er Jahre), den Versuch der US-Regierung, die noch bestehenden indianischen Stämme als Gemeinschaften aufzulösen und ihnen ihren Sonderstatus als Indianer abzuerkennen. Es werden insbesondere die Widerstände gegen dieses Vorgehen dargestellt.

In den 1960er Jahren begannen in den USA die "Red-Power-Jahre", welche in Kapitel 5 geschildert werden. Diese Bewegung war beeinflusst von der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung und war gekennzeichnet durch Protestaktionen von Künstlern und politischen Aktivisten, Auseinandersetzungen um Fischereirechte im Nordwesten der USA, die Besetzung der Insel Alcatraz in der Bucht von San Francisco durch indianische Bürgerrechtler bis hin zum militanten Widerstand der AIM (American Indian Movement). Der Autor schildert detailliert eine Reihe von Aktionen, so zudem den "Trail of Broken Treaties" 1972. Hier wird auch die mangelhafte Organisation des Vorhabens aufgezeigt, die schließlich zur Besetzung und zerstörerischen Aktionen im BIA (Bureau of Indian Affairs) in Washington führte. An diese Aktion reihte sich die medienwirksame Besetzung der Ortschaft Wounded Knee 1973 an.

Am Ende dieser teilweise gewaltsamen Auseinandersetzungen, in welche die AIM verstrickt war, steht indes die Aussage, dass sie direkt oder indirekt zu positiven Veränderungen führten.

Im Kapitel 6 wird gezeigt, wie sich seit Mitte der 1970er Jahre die Situation allmählich verbesserte und beispielsweise 1975 ein Gesetz über indianische Selbstbestimmung im Kongress der USA beschlossen wurde. Der Autor schildert aber auch diese Jahre als konfliktreiche Zeit, geprägt von Protesten gegen die Zwangssterilisierung indianischer Frauen oder den allzu leichtfertigen Umgang mit radioaktivem Material bei der Uranförderung auf dem Land der Navajo.

Das Buch bietet eine faktenreiche Übersicht und der Autor ist sichtlich bemüht, die Problematik in ausgewogener Weise von verschiedenen Seiten zu betrachten. Es gibt ein umfangreiches Quellenverzeichnis sowie einen Stichwort-Index. Dass der inhaltliche Rahmen scheinbar etwas willkürlich im Jahr 1992, dem 500. Jahr der "Entdeckung" Amerikas, endet, mag der Leser bedauern; aber es ist sicherlich sinnvoll, die allerjüngste Geschichte, deren unmittelbare Zeitzeugen wir sind, aus einer solchen Übersichtsdarstellung auszuklammern und gegebenenfalls in einer separaten Studie zu erläutern. (Rezension von Rudolf Oeser)

 

Karl-Hermann Hörner:
Vertreibung und Diaspora im nordamerikanischen Südosten. Auf den Spuren der Natchez.

GRIN Verlag, 2023, 166 Seiten.
€ 42,95; für eine Leseprobe siehe: https://www.grin.com/document/1165804
ISBN 978-3-34657-397-1

 

Die Natchez dürften als Ethnie im südöstlichen Kulturareal Nordamerikas vielen Lesern bekannt sein. Insbesondere wird vielfach auf den vermeintlichen Fakt hingewiesen, dass die Natchez infolge mehrerer Kriege mit den französischen Kolonialisten am unteren Mississippi schon im 18. Jahrhundert ausgerottet worden seien.

Der Autor geht zunächst am Beispiel der Creek und der Cherokee der Frage nach, wie im Falle von Vertreibung, Umsiedlung und Zersplitterung von Ethnien deren Identität und Zusammengehörigkeitsgefühl bestehen bleiben und weiterentwickelt werden können. Er weist nach, dass das Bewusstsein ethnischer Identität trotzdem bewahrt werden kann.

Im Falle der Natchez wird zunächst die historische Situation, welche zu Krieg und Vernichtung der Natchez als Stammesorganisation führten, umrissen und schließlich aufgezeigt, wie es möglich war, dass Teile das Stammes bis in die Gegenwart weiterhin bestehen bzw. sich neu organisieren konnten.

Der Autor weist nach, dass sich durchaus nicht nur einzelne Personen der Natchez zu benachbarten Stämmen haben retten können, sondern dass dort größere Stammesgruppen vor den französischen Angriffen Zuflucht gefunden haben.

Die hier vorgestellte Publikation ist die um mehrere Kapitel erweiterte Neuauflage eines bereits 2022 unter gleichem Titel erschienenen Buches, welches in der Ausgabe 2/2022 der Zeitschrift Amerindian Research besprochen wurde. Diese Buchinformation beruht auf einem pdf mit dem vollständigen Text, das Buch selbst lag dem Rezensenten nicht vor. (Rezension von Rudolf Oeser)

 

 

 

 


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"AMERINDIAN RESEARCH – Zeitschrift für indianische Kulturen von Alaska bis Feuerland"